Zahlungsunfähig
Zahlungsunfähigkeit prüfen – Ablauf, Nachweise und Risiken
Warum eine präzise Zahlungsfähigkeitsprüfung entscheidend ist
Die rechtzeitige und formal korrekte Prüfung der Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens entscheidet in der Krise nicht nur über die Fortführungsfähigkeit – sondern auch über die persönliche Haftung der Geschäftsleitung, die Möglichkeit der Sanierung und die Abwehr insolvenzrechtlicher Risiken.
Wer als Geschäftsführer zu spät oder ungenau handelt, setzt sich dem Risiko von Insolvenzanfechtung, Geschäftsführerhaftung (§ 64 GmbHG a.F., § 15b InsO) und strafrechtlicher Verfolgung aus.
In der Praxis ist die Abgrenzung zwischen einer bloßen Liquiditätsengpasssituation und einer tatsächlichen Zahlungsunfähigkeit häufig schwierig – und zugleich von großer Tragweite.
Die folgenden Abschnitte erläutern das anerkannte dreistufige Prüfungsverfahren, die zugrundeliegenden rechtlichen Grundlagen sowie typische Fehlerquellen und erforderliche Nachweise.
Gesetzliche Grundlage: § 17 InsO
Laut § 17 Abs. 2 InsO ist ein Unternehmen zahlungsunfähig, wenn es „nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen.“
Dabei reicht es nicht, dass ein kurzfristiger Engpass besteht. Vielmehr muss geprüft werden, ob eine strukturelle Liquiditätslücke vorliegt, die nicht innerhalb von drei Wochen geschlossen werden kann.
Als Zahlungsunfähigkeit gilt grundsätzlich die Einstellung der Zahlungen, sofern nicht ausnahmsweise eine bloße Zahlungsstockung vorliegt. Hierbei ist eine qualifizierte betriebswirtschaftliche Analyse erforderlich.
Drei-Stufen-Modell zur Prüfung der Zahlungsunfähigkeit
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und die Standards des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW S11) sehen zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit ein dreistufiges Prüfmodell vor:
Stufe 1 – Liquiditätsstatus (Stichtagsbetrachtung)
- Ermittlung der verfügbaren liquiden Mittel (Aktiva I) zum Stichtag:
- Bankguthaben
- ungenutzte Kreditlinien
- Kassenbestände
- Gegenüberstellung mit den fälligen Verbindlichkeiten (Passiva I):
- Lieferantenrechnungen
- Sozialabgaben
- Steuerforderungen
- sonstige fällige und ernsthaft eingeforderte Zahlungsverpflichtungen
Ergebnis:
- Ist die Deckungslücke kleiner als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten → Vermutung der Zahlungsfähigkeit
- Ist die Deckungslücke ≥ 10 % → weiter zu Stufe 2

Zahlungsunfähig
Stufe 2 – Dreiwochenprognose (Zeitraumbetrachtung)
- Betrachtung der Liquiditätsentwicklung über die nächsten 21 Kalendertage
- Einbeziehung:
- zu erwartende Einzahlungen (Aktiva II)
- zusätzlich fällig werdende Zahlungsverpflichtungen (Passiva II)
Ziel: Prüfung, ob die bestehende Deckungslücke innerhalb dieser Frist vollständig oder nahezu vollständig geschlossen werden kann
Achtung: Nur bei „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ absehbarer Beseitigung der Unterdeckung kann auf eine Zahlungsfähigkeit geschlossen werden.
Stufe 3 – Integrierte Finanzplanung (bei fortbestehender Lücke)
- Anwendung, wenn:
- auch nach drei Wochen eine erhebliche Unterdeckung besteht
- der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit rückwirkend beurteilt werden soll
- Erstellung einer integrierten Planung:
- Ertragsplanung (GuV)
- Bilanzplanung
- Liquiditätsplanung
- Betrachtungshorizont: bis zu sechs Monate (bei gerichtlicher Prüfung sogar rückwirkend bis zur letzten unbeanstandeten Liquiditätslage)
Relevante Unterlagen & Nachweise
Die Zahlungsunfähigkeitsprüfung muss belegbar und nachvollziehbar dokumentiert sein. Relevante Nachweise sind u. a.:
- Liquiditätsstatus mit Deckungsquote zum Stichtag
- Dreiwochen-Liquiditätsplan mit taggenauer Ein-/Auszahlungsvorschau
- Kontoauszüge, Kassenbücher, Kreditrahmenbestätigungen
- Debitoren- und Kreditorenlisten mit Fälligkeitsdaten
- Übersicht laufender Mahnungen, Mahnbescheide, Pfändungen
- Zahlungspläne, Zahlungsvereinbarungen mit Gläubigern
- Schriftwechsel zu Stundungen, Stillhalteabreden oder Rangrücktritten
Abgrenzung zur Zahlungsstockung
Eine bloße Zahlungsstockung liegt nur dann vor, wenn:
- die Liquiditätslücke innerhalb von maximal 3 Wochen vollständig geschlossen werden kann,
- weniger als 10 % der Verbindlichkeiten nicht bedient werden können,
- konkrete und belastbare Rückflüsse (z. B. Kredit oder Geldeingang) fest eingeplant sind,
- keine nachhaltige strukturelle Unterdeckung besteht.
Achtung: Sobald eine Deckungslücke ≥ 10 % dauerhaft besteht oder nicht in drei Wochen beseitigt werden kann, ist von Zahlungsunfähigkeit auszugehen (BGH, ZIP 2001, 903).
Wann beginnt die Insolvenzantragspflicht?
Die Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a InsO beginnt nicht erst bei Kenntnis, sondern mit objektiver Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit. Das bedeutet:
- Bei Eintreten der Zahlungsunfähigkeit beginnt die 3-Wochen-Frist zur Antragstellung.
- Bei Überschuldung gilt eine 6-Wochen-Frist (§ 19 InsO).
- Versäumt die Geschäftsleitung diese Fristen, drohen zivil- und strafrechtliche Konsequenzen.
Typische Fehler in der Praxis
❌ Keine tagesaktuelle Liquiditätsstatus-Berechnung
❌ Fehlende oder unplausible Prognosen der nächsten 3 Wochen
❌ Fehlender Nachweis über ernsthafte Einforderungen von Gläubigern
❌ Keine Gläubigerkommunikation bei Sanierungsversuchen dokumentiert
❌ Fehlender Abgleich mit Buchhaltung, Kasse, Kontoauszügen
✅ Tipp: Ein professionell dokumentierter Liquiditätsstatus inkl. Planungsannahmen ist im Zweifel Ihr wichtigstes Beweismittel gegenüber Insolvenzgericht, Insolvenzverwalter und Staatsanwaltschaft.
Wie Gerichte & Insolvenzverwalter den Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit bestimmen
Gerichte und Verwalter verwenden u. a.:
- Rückblick auf Bilanzen, BWAs und Summen-Saldenlisten der letzten Monate
- Rückverfolgung fälliger, nicht beglichener Verbindlichkeiten
- Auswertung von Mahnverläufen, Mahnbescheiden, Pfändungsprotokollen
- Kommunikation mit Gläubigern (Stillhalten, Zahlungsaussetzungen etc.)
- Kontoauszüge und Zahlungsstoppmuster (z. B. nur noch selektive Zahlungen)
Ziel ist die Rekonstruktion des Zeitpunkts der materiellen Insolvenz, um etwaige Haftungs- und Anfechtungsansprüche zu ermitteln.
Strafrechtliche Risiken bei verspätetem Handeln
Folgende Tatbestände können bei verspäteter Antragstellung oder irreführender Liquiditätsdarstellung zur Anwendung kommen:
- Insolvenzverschleppung (§ 15a InsO)
- Bankrott (§ 283 StGB) – insbesondere bei manipulativer Buchführung oder unrichtigen Angaben
- Untreue (§ 266 StGB) – bei pflichtwidrigem Verhalten zu Lasten des Gesellschaftsvermögens
- Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a StGB) – auch bei Zahlung der Nettolöhne ohne Abführung der Beiträge
Besonders risikobehaftet: Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife. Diese sind grundsätzlich rückerstattungspflichtig (§ 15b InsO).
Zahlungsunfähig – Zahlungsunfähigkeit rechtssicher prüfen – mit System, Dokumentation und Weitblick
Die Prüfung der Zahlungsunfähigkeit ist kein einmaliger Blick auf das Konto, sondern ein strukturiertes, prüfbares Verfahren mit erheblicher Tragweite. Sie betrifft die persönliche Verantwortung der Geschäftsleitung ebenso wie die Zukunft des Unternehmens.
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